Es war nur eine Minderheit, aber sie verdarb einen ganzen Fußball-Nachmittag: Nach dem Pokal-Aus gegen Kaiserslautern stürmten BFC-Anhänger den Gästeblock.
Die Spieler des BFC Dynamo standen noch vor ihrer Fankurve und ließen sich feiern. „Hoch soll’n se leben“, sang der Anhang der Berliner trotz der 0:3 (0:2)-Niederlage gegen den 1. FC Kaiserslautern. Doch die feierliche Stimmung währte nicht mehr lange. Auf der anderen Seite formierte sich bereits das Rollkommando. Weil die Lauterer Anhänger kurz vor Ende des Spiels mit weißen Taschentüchern gewinkt hatten, fühlten sich gut hundert BFC-Fans so weit provoziert, dass sie nach dem Abpfiff eigenhändig zur Rache schritten. Sie stürmten den Fanblock der Lauterer. Nach Angaben der Polizei gab es mehrere Verletzte, darunter auch Polizisten.Es war das böse Ende eines bis dahin durchaus gelungenen Fußballnachmittags. 10.104 Zuschauer wollten den Pokalauftritt des Berliner Fünftligisten sehen, so viele wie nie zuvor nach der Wende bei einem Spiel des zehnmaligen DDR-Meisters. Und die Stimmung war prächtig, obwohl sich die Angelegenheit denkbar einseitig gestaltete. Nach knapp einer halben Stunde war die Begegnung durch die Tore von Ivo Ilicevic und Christian Tiffert entschieden, kurz nach der Pause ließ Thanos Petsos im Anschluss an eine Ecke das 3:0 folgen. Der Berliner Pokalsieger mühte sich war, doch ein wenig fehlte ihm der Mut, um das Spiel ausgeglichener zu gestalten. „Wir waren gar nicht in der Lage, in die Zweikämpfe zu kommen“, sagte BFC-Trainer Heiko Bonan. „Aber Lautern ist auch nicht unser Niveau.“
Die Fans des BFC feierten ihre Mannschaft trotzdem und machten eine Menge Alarm. Dass der Klub mit Teilen seiner Fanszene jedoch immer noch auf dünnem Eis wandelt, zeigte sich eine gute Viertelstunde vor Schluss, als auf der BFC-Geraden eine ganze Serie von Böllern gezündet wurde, Nebelschwaden über den Platz zogen und die Begegnung für gut fünf Minuten unterbrochen werden musste. Es sollte nur ein harmloses Vorspiel dessen sein, was nach dem Schlusspfiff passierte.
„Es ist eine einzige Katastrophe“, sagte Dynamos Pressesprecher Martin Richter, der bei den Lauterer Fans um Entschuldigung für die Ausschreitungen bat. „50 oder 100 Idioten machen ein Spiel mit 10.000 Leuten kaputt.“ Solche Schlagzeilen wollte der Klub bei seinem ersten nationalen Auftritt seit mehr als einem Jahrzehnt unbedingt vermeiden. Zuletzt hatten alle Beteiligten immer wieder beteuert, dass Dynamo sich geändert habe, und mit Macht gegen das alte Image des Klubs angekämpft. Seit einem Jahr predige er, dass der BFC anders sei, als die Leute immer noch glaubten, sagte Trainer Bonan. „Ich war überzeugt, dass er nicht mehr in dieses Klischee reinpasst, aber heute wurde ich Lügen gestraft.“
Kaiserslauterns Spieler hatten gerade erst die Ehrenrunde vor ihrer Kurve beendet, als die Randale losbrach. Mathias Abel war außer sich, als er in den Kabinengang kam. „So ein Saftladen“, schimpfte der FCK-Verteidiger. „Und die Polizei steht daneben und schaut nur zu.“ In der Tat konnten die Krawallmacher ohne größere Hindernisse in den gegnerischen Block gelangen, nach Auskunft der Polizei hätte das im Stadion der Ordnungsdienst verhindern müssen – der aber hielt sich offensiv zurück. Immerhin bekamen die Polizisten die Situation relativ schnell wieder unter Kontrolle.
Den BFC Dynamo aber werden die Vorfälle vermutlich noch lange beschäftigen. Ein Fan im weinroten BFC-Hemd war fassungslos über so viel Dummheit in den eigenen Reihen: „Die schaffen es noch, dass ich mich schäme, dieses Trikot zu tragen.“
TAZ vom 23.08.2005
Okkupation eines Vereins
Neonazis, Hooligans, Hells Angels oder rechte Rocker: Der BFC Dynamo ist in den Händen einer berüchtigten Clique. Die Klubführung hütet sich davor, rechte Tendenzen und Gewalt anzuprangern
Mario Weinkauf ist sauer. Eigentlich will der Präsident des Berliner FC Dynamo gar nichts mehr sagen. "Wir lassen uns nicht länger zum Spielball der Politik und der Medien machen", belfert er ins Telefon und verweigert zunächst jede Aussage. "Wir konzentrieren uns nur noch auf das Sportgeschehen und unser sozialpädagogisches Engagement", kündigt der Chef des Clubs an, der wieder einmal für Schlagzeilen gesorgt hat. Und wieder einmal geht es um die Fans des Vereins, der in der DDR als Stasiclub verschrien war. Die BFC-Fans gelten als gewaltbereit und sind in den meisten Stadien nicht gerne gesehen.
Besonders unbeliebt sind sie bei den Anhängern des 1. FC Union Berlin, bei dem der BFC Dynamo am Sonntag ein Spiel in der Oberliga Nordost ausgetragen und mit 0:8 verloren hat. Die Polizei teilte vor der Begegnung mit, dass sie mit Aktionen der brutalsten Art unter den Anhängern des BFC rechne. 200 Schläger aus dem Umfeld des BFC werden von der Polizei zur so genannten Kategorie C gerechnet. Darunter werden die härtesten Gewalttäter gefasst. Weitere 400 zählen zur Kategorie B und sind ebenfalls Fans mit erheblichem Gewaltpotenzial. Nachdem die Polizei im Vorfeld der Begegnung verdächtige Aktivitäten in der Szene beobachtet hatte, kündigte sie an, mehr als 1.000 Sicherheitskräfte zum Spielort abzustellen. Am Tag vor der Begegnung gab es einen Sonderkommando-Einsatz gegen feiernde BFC-Anhänger in der Berliner Diskothek "Jeton", bei dem mehr als 150 Personen festgenommen worden sind. Am Spieltag selbst konnte kein Anhänger von Dynamo unbeobachtet auch nur einen Schritt tun. Die 4.000 Gästefans standen unter schärfster Beobachtung. Beinahe alle Zufahrtsstraßen zur Alten Försterei, dem Stadion des FC Union, wurden abgeriegelt und erst wieder freigegeben, nachdem der letzte BFC-Fan aus dem Sicherheitsring, den die Polizei um die Arena gezogen hatte, geleitet worden war.
Mario Weinkauf schwärmt indes von den BFC-Fans, für problematisch hält er die wenigsten: "Es gibt Straftäter und Gewalttäter - und die benutzen den Sport als Bühne", sagt er. Und dann redet er doch über die Nacht in der Diskothek, in der die Polizei, wie sie mitteilt, auch deshalb so hart vorgegangen ist, weil sie auf massive Gegenwehr gestoßen sei. "Wenn die Gegenwehr so groß gewesen ist, wie die Polizei sagt, warum hat es dann keine verletzten Polizisten gegeben", schimpft er. Dann verweist er auf den Fanbeauftragten Rainer Lüdtke, der sich eifrig um die Festgenommenen bemühe. Der hat mit Hilfe eines Fanclubs namens "79er" bereits einen "Problemfanfonds" für alle "Betroffenen" eingerichtet und sie in seinem Internetforum aufgefordert, Anzeige gegen die Polizei wegen Freiheitsberaubung und gegebenenfalls Körperverletzung zu stellen.
Lüdtke hat Erfahrung im Organisieren von Rechtsschutz. Als Brandenburger Sicherheitskräfte Dynamo-Anhängern in Cottbus Kleidungsstücke mit dem verbotenen Runenlogo des Labels "Thor Steinar" abgenommen haben, wurde er sofort aktiv. Es ging um seine BFC-Familie - und der muss natürlich geholfen werden. Auch damals wurde der Hilfsfonds durch die 79er betreut. Die treffen sich regelmäßig im Berliner Fußballcafé (kurz BFC), einer Kneipe, die schon zwei Mal Ort von Polizeieinsätzen geworden ist. Einmal wurde eine Party am 3. Oktober gesprengt, an dem der "Tag der Germanen" gefeiert worden ist. Ein anderes Mal wurden Hakenkreuzvorlagen eines Tattoo-Studios sichergestellt. Für Lüdtke ist das alles halb so schlimm. "Muss man sich schämen, Germane und stolz auf sein Land zu sein?", meinte er zur Mottoparty im Fußballcafé. Auch an der schmückenden Reichskriegsfahne hatte er nichts auszusetzen. Die sei schließlich von den Nazis missbraucht worden.
Inhaber des Cafés war zu jener Zeit Andre Sommer, der mit seiner Hells-Angels-Bande Security-Aufgaben bei den Heimspielen des BFC im Sportforum Hohenschönhausen übernommen hat. Sommer, der auch bei den Szeneläden "Kategorie C" und "Germanenhof" mitgemischt hat, wurde sogar einmal zusammen mit seinem Hell-Angels-Kollegen Rayk Bernt zum Vorstand des Vereins gewählt. Etliche Anhänger des BFC sind als Mitglieder im Verein organisiert. Sie haben den Verein praktisch in der Hand. Als der Verein vor drei Jahren ums Überleben kämpfte, waren es die Fans, die mit ihren Spenden dafür gesorgt haben, dass ein Insolvenzverfahren erfolgreich zum Abschluss gekommen ist. Wer den Verein führt, bestimmen seither die dominierenden Fangruppen. Kein Wunder, dass sich die Clubführung schwer tut, sich von problematischen Anhängern zu distanzieren. Wer bei Auswärtsfahrten negativ auffällt, für den steht ein Anwalt bereit, der sich um die Aufhebung von Stadionverboten kümmert und via Stadionheft juristische Ratschläge erteilt.
Auch daran, dass viele Anhänger schon durch ihre Kleidung einen nicht gerade friedliebenden Eindruck machen, arbeitet der Club selbst mit. Einer der Sponsoren ist das Berliner Kleiderlabel "Hoolywood". Shirts und Polos mit der Aufschrift "Kategorie C" werden bei Heimspielen auf dem Stadiongelände verkauft. Auch die Diskothek "Jeton" gehört zu den Sponsoren des BFC. Schon einmal ist sie zusammen mit dem Namen des Vereins in die Schlagzeilen gekommen. Einer der größten Rauschgiftdealerringe, die in Berlin je ausgehoben wurden, war ein Gewächs der Fanszene und von Security-Mitarbeitern des BFC Dynamo. Einer der bevorzugten Treffs war das "Jeton".
Die BFC-Riege der Nazis, Rocker und Hooligans scheint auf viele Jugendliche anziehend zu wirken. Der BFC ist bundesweit bekannt - auch in der Zentralen Erfassungsstelle Sporteinsätze (ZIS), die beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist. Ohne jedoch über Daten zu verfügen. "Wir hätten gerne, dass Dynamo in einer höheren Liga spielt", meint Olaf Brandenburg von der ZIS, die nur Daten von Vereinen der ersten drei Ligen verwaltet. Das ergibt eine paradoxe Situation, denn Gewalt im Fußball richtet sich nicht nach Spielklassen.
Der Schand-Elfmeter von Leipzig
Wie Schiedsrichter Stumpf die DDR bereits am 22. März 1986 fast zum Einsturz brachte - die Geschichte eines Mythos
Warum spielen sie noch? Schon 94 Minuten beharken sich die alten Rivalen: Lok Leipzig und der BFC Dynamo, der Stasi-Club, der Hassverein des DDR-Fußballs. Schiedsrichter Stumpf aus Jena pfeift einfach nicht ab.
Lok-Regisseur Liebers hat er vom Platz gestellt, weil der beim Freistoß aus der Mauer trat. Lok-Kapitän Baum wankt nach Tritt ins Gesicht als Kopfmumie über den Acker, aber immer noch führt seine Mannschaft 1 : 0. Dreizehntausend Leipziger brüllen den Schlusspfiff herbei. Noch einmal flanken die Berliner.
Abgewehrt, neue Flanke, und urplötzlich liegt, wohl vom Winde gefällt, im Lok-Strafraum der Dynamo-Spieler Schulz. Jetzt pfeift Stumpf: Elfmeter.
Dieser Pfiff ist zur Legende geworden. Für ungezählte Ostfans kulminierte in diesem Spiel die Fußballgeschichte der späten DDR. Seit 1979 war der BFC ununterbrochen Meister geworden - beileibe nicht nur willfähriger Schiedsrichter wegen, aber immer wieder assistiert durch allerlei Parteilichkeit, die von Rostock bis Aue das Fußballvolk auf die Barrikaden trieb. Am 22. März 1986, um 16.49 Uhr, brach der Aufstand los. Wer nicht selbst dabei war, als das Leipziger Bruno-Plache-Stadion explodierte, der hörte doch den Radiodonner des Reportergottes Wolfgang Hempel: DAS DARF DOCH NICHT WAHR SEIN! Pastor verwandelte den Fallelfmeter, Abpfiff, Tumult, Schiri Stumpf floh in die Kabine. Reporter Hempel eilte ihm nach und bummerte an die Tür. Was gibt's? schrie Stumpf. - Zwei Fragen: Hättest du den Liebers auch vom Platz gestellt, wenn er BFCler wär? - Natürlich! - Und diesen Elfer auch gegen den BFC verhängt? - Ja! - Dann traf ich Matz Liebers, erinnert sich Hempel. Mensch, biste zu retten, hab ich gesagt. Gelb hattste schon und trittst beim Freistoß dreimal aus der Mauer! - Was, wer, ich? Gar nicht, niemals, nischt gemacht! - Der war noch so in Rage, der war wie weggetreten nach diesem Spiel.
Volker Nickchen, zweiter Mann des DDR-Fußballverbandes DFV, spricht auf der Pressekonferenz in erbitterte Gesichter, diese Schiedsrichterleistung müsse Konsequenzen haben. So liest es dann die Republik, und so kommt es. Stumpf wird gesperrt. Der BFC holt freilich abermals den Titel - zwei Punkte vor dem 1. FC Lok. Das Volk brüllt weiter SCHIEBERMEISTER, registriert allerdings, dass künftig kaum noch pro BFC gepfiffen wird. Bernd Stumpf bleibt verschwunden. Dann verschwindet die gesamte DDR. Die Legende überlebt: der Schandelfmeter von Leipzig und wie der Volkszorn Mielkes Schiri fraß.
So wäre alles in schönster Gedenkordnung, hätte nicht unlängst Bernd Stumpf bei Sport im Osten via MDR ein Video präsentiert. Damals vom BFC zu Trainingszwecken aufgenommen, zeigt es die berühmte Szene aus anderer Perspektive. Wieder segelt der Ball herein, wieder springt Schulz, aber siehe, hinter ihm steht Leipzigs Mittelstürmer Richter und schiebt Schulz mit beiden Händen unter der Flanke hindurch. Diese DDR-Geschichte muss wohl neu geschrieben werden.
Drei Wahrheiten werden wir finden - eine Berliner, eine Leipziger, die dritte in einem Jenaer Kellergelass. Eine vierte Wahrheit ist im Sommer 1989 republikflüchtig geworden
unsere Fahndung nach Hans Richter läuft. Sein 86er Opfer steckt in Gips. Bernd Schulz hat sich bei einem Alte-Herren-Spiel des BFC das Bein gebrochen. Vierzig ist er heute, sieht wie Mitte zwanzig aus und erinnert sich genau. Der Richter hat mich umgeschubst, sagt Schulz. Ganz dumme Aktion. Es war doch gar nicht raus, dass ich den Ball kriege und ob er reingeht.
Aber beim Fallen nachgeholfen haben Sie auch ein bisschen.
Nachgeholfen, grübelt Schulz und entscheidet: Ich sag nee.
Und so 'n Elfer muss man ja auch erst mal einhauen, sagt Jürgen Bogs, damals wie heute Trainer des BFC. Da ist ja auch noch 'n Torwart da. Entscheidend war die psychische Stabilität unserer Mannschaft in Auswärtsspielen.
Es war ein normales Spiel, sagt Schulz.
Normal? Bei dem Volksaufstand?
Na ja, sagt Schulz, der Hass gegen den BFC hat sich natürlich jedes Jahr gesteigert. In Aue, Böhlen, Zwickau gab's vielleicht monatelang keine Apfelsinen, und wir kommen aus Berlin und sitzen nach dem Auswärtssieg im Bus und packen die Verpflegung aus, da sind die Leute dort natürlich ausgeflippt.
Da ist man schon immer freudig hingefahren, weil man wusste: Gleich bläken sie wieder Stasi-Sau. Das hat uns motiviert.
Bei jedem BFC-Spiel rechnete man mit dem ominösen Pfiff
Wir warn 'ne geile Truppe, sagt Bodo Rudwaleit, einst der BFC- und Nationaltorwart. Wir sind auf den Platz und wollten's den Arschlöchern zeigen. Hat ja auch meistens jeklappt. Und dann Massenhysterie: Schiebung!
BFC-Schiedsrichter! Obwohl, bei manchen Entscheidungen dacht ick ooch: Mein Gott, hamwa dit nötich? Bloß konnte ja der Schiri pfeifen, wie er wollte, allet wurde uffjebauscht. Mir hat keener 'n Titel jeschenkt, ick hab hart jearbeitet, solln die Leute glooben, wat se wolln. Wat ick weeß, weeß ick für mich alleene, und dit reicht.
Aber der Schiri Stumpf wurde nach dem Leipzig-Spiel für immer gesperrt.
Hab ick damals nich so mitjekricht, sagt Rudwaleit. Is mir jetzt ooch müßich, über diese janzen Leute noch ürjendwelche Meinungen zu haben.
Bodo, war's dir ein Problem, im Stasi-Club zu spielen?
Nö. Nö. Nö.
Und die Stasi selbst?
Öh, pphhh, sagt Rudwaleit. Würd 'n bisschen blöde klingen. Hab ja von denen meine Spielprämie jekricht. Ick sprech jetzt nich im Nachhinein, ick red von damals, wo ick mir kaum Jedanken jemacht hab. Damals war damals, und heute is jetzt.
Was dachtest du bei Mielkes Tod?
Weder in die eine Richtung Emotionen, sagt Rudwaleit, noch in die andere.
Wer mit alten BFClern spricht, bedenke, wie der Mensch sich zu erinnern wünscht: Das Gute möge bleiben - die zehn Meisterschaften, die Europacup-Triumphe über Aberdeen, Zürich und Michel Platinis St. Etienne.
Fußball sei Fußball gewesen. Die Spieler hätten Mielkes BFC-Manie heimlich begrinst. Um Politik, sagt Trainer Bogs, hab ich mich nicht gekümmert.
Wie anders erinnern sich die Leipziger: an die kühle Klasse der Berliner, an deren Selbstsicherheit unterm politischen Schirm. An viele, viele Spiele.
Welches Jahr war's denn, sagt Frank Baum, wir führten 2 : 1, da holt sich der Riediger vom BFC den Ball mit der Hand aus'm Aus raus und schiebt ihn rein, und das zählt. 2 : 2. Schiedsrichter war Stenzel. Ich bin noch nicht fertig.
Kurz vor Schluss, Kopfballduell mit Ernst, der kracht sich auf mich drauf, ich zu Boden, mir wurd's schwarz, und wie ich wieder zu mir komme, steht der Stenzel da und gibt mir Rot. Da hab 'ch wirklich rot gesehn. Ich auf den Stenzel los, der haut ab, da wollt ich auf den Linienrichter drauf, der haut och ab. Und da bin ich zur Tribüne, wo der Mielke saß, und hab die Faust gehoben.
Und dann?
Dann, sagt Baum feierlich, dann wurde ich abgeführt.
O Gott!
Aber begnadigt, sagt Baum. Weil ich kurz darauf für die DDR gegen Schottland spielen sollte. Die Partei im Bezirk hat mich rausgehaun.
Man rechnete bei jedem BFC-Spiel mit dem ominösen Pfiff, sagt Uwe Bredow.
Damals war's auch wieder, als hätte der Stumpf nur gewartet, dass er endlich Elfer geben kann.
Kalkulierte nicht jeder DDR-Schiedsrichter, dass bei internationalen Ambitionen Mielkes Ministerium sein Visum befürworten musste?
So war's, sagt Baum. Kannste zwar keinem beweisen. Gab ja auch Gute - Männig, Glöckner, Heynemann, Hans Kulicke, der hat dir beim Spiel von seiner neuen Brieftaube erzählt, der sagte: Leute, ich pfeif ab, ich muss zum Zug. Stumpf, das war ä Lehrer, der hatte das Übergerechte, so Oberbefehlshaber, das mögen Fußballer nicht.
Ich fahre jetzt nach Jena, zum Stumpf.
Grüßense ihn, sagt Bredow.
Bernd Stumpf öffnet: markantes Gesicht, schwarzes T-Shirt, Silberkette, Shorts, kräftig gebräunte Waden. Ein stattlicher Mann von sechzig Jahren. Ein hektischer Mann: Er sei ja unrasiert. Er habe ja nicht aufgeräumt. Wohin mit dem Reporter, mit dem Kaffee? Der Balkon ist zu laut. Der Keller ist richtig.
Niemand stört, vier Stunden lang.
Stumpf sprudelt. Zuhauf muss er erklären und beweisen. Seine absolute Korrektheit. Seine Elfmeterpfiffe gegen den BFC. Seinen Mut zu unpopulären Maßnahmen, brutal, immer zum Schutze der Spieler. Notfalls flogen bei Stumpf auch Auswahlkicker vom Platz. Das Volk hat nie begriffen, sagt Stumpf, wie dieses besagte Leipziger Spiel von höchster partei- und regierungsamtlicher Stelle verwendet worden ist. Schon seit 1983 sollten ja dem BFC die Flügel gestutzt werden.
1983 wurde im DDR-Fußballverband eine neue Führung installiert.
Generalsekretär Karl Zimmermann kam als hoch angesehener Wirtschaftsmann vom Rat des (starken) Bezirkes Leipzig, sein Stellvertreter Volker Nickchen aus Karl-Marx-Stadt, Manfred Zapf aus Magdeburg. Ihr erklärtes Ziel war die Qualifikation zur 86er Weltmeisterschaft. Inoffiziell sollten sie dem DDR-Sportchef und Fußballfeind Manfred Ewald die Stirn bieten. Zugleich bildete das Triumvirat eine Phalanx gegen Mielkes BFC-Begünstiger. Am 22.
März 1986 kam vieles zusammen. Die Weltmeisterschaft war verpasst, Dynamo Dresden soeben als letzte DDR-Elf aus dem Europapokal geflogen, der Dresdner Lippmann nach dem schaurigen 3 : 7 in Uerdingen geblieben. Das Fußballvolk brodelte. Der SED-Parteitag stand vor der Tür
Honecker wünschte Ruhe.
Ohnehin nervte im Politbüro die dauernde Randale bei BFC-Gastspielen. Zu alledem war in Leipzig Messe. Westliche Besucher weilten im Stadion und wurden Zeuge, wie sich der sozialistische Fußball danebenbenahm. Kicker vom 27. März 1986: "In der DDR flogen die Fetzen."
Vor dem Spiel, sagt Berend Stumpf, ging Nickchen mit mir spazieren: Schiri-Einweisung aufs Spiel, die Brisanz etc. - manches klang fast ein bisschen, als sollte Lok gewinnen. - Das ist Quatsch, sagt später Volker Nickchen (heute DFB-Zentrale Frankfurt am Main). Pfeif anständig, hab ich gesagt, sei konsequent vom Anfang bis zum Ende, aber mit Fingerspitzengefühl - so in etwa, weeß ich heut nich mehr. - Die Lok-Spieler haben mich dann durch ihr Verhalten unter Druck gesetzt, sagt Stumpf. Der Baum peitschte ja die Massen auf mit seinem Kopfverband. Und wie der Liebers dreimal aus der Mauer trat, da dacht ich: Und wenn die ganze Welt hier untergeht, du machst mit mir nicht huzebuze. Und bei dem Elfer wusste ich natürlich, gleich kocht das Stadion. Nee, nützt nischt, Pfiff.
Nicht nur das Stadion kochte, auch die Leipziger Parteispitze. Genosse Hackenberg, der zweite Bezirkssekretär, jagte ein chiffriertes Fernschreiben nach Berlin: "selbst bei genossen gibt es berechtigte empoerung, dasz die schiedsrichterleistung die zuschauer und spieler regelrecht provozierte (...)
dasz schiedsrichter stumpf mit seinen entscheidungen der weit verbreiteten meinung, dasz dem bfc der meister zugeschoben wird, neue nahrung gegeben hat". Am 27. März erfährt Stumpf von seiner Suspendierung. Geschasst werden auch Heinz Einbeck und Gerhard Kunze, die bisherigen Leiter der DFV-Schiedsrichterkommission, die Stumpf halten wollten. Am 31. März bittet Stumpf per Eingabe Erich Honecker, "diese Verfahrensweise und Entscheidungen zu überprüfen, weil sie nach meiner Auffassung undemokratisch sind, und der rechtlichen Grundlage entbehren". Stumpf fährt nach Berlin und bringt den Brief persönlich zum ZK der SED.
Am 2. April spediert Egon Krenz Stumpfs Epistel an Honecker, mit Begleitbrief: Stumpf sei "wegen wiederholter Fehlleistungen" gesperrt worden.
"Diese Maßnahme ist, wie mir Genosse Manfred Ewald bestätigte, auf breite Zustimmung in der Bevölkerung gestoßen. (...) Ich bitte Dich daher, mir den Auftrag zu erteilen, den Brief des Genossen Bernd Stumpf in diesem Sinne zu beantworten." Am 3. April quittiert EH: Krenz darf schreiben und tut dies desselbigen Tags: "Lieber Genosse Bernd Stumpf! Der Generalsekretär des Zentralkomitees unserer Partei, Genosse Erich Honecker, hat mir Ihren Brief vom 21. (sic!) März 1986 zur Prüfung und Erledigung übergeben. Zunächst möchte ich Ihnen herzlich danken, dass Sie sich vertrauensvoll an das Zentralkomitee unserer Partei in einer wichtigen Sportfrage gewandt haben."
Es folgt Sülze mit hartem Kern. Stumpf wird abgewiesen. Er möge, ein Witz für einen 45-jährigen Leistungsschiedsrichter, "zu gegebener Zeit einen Antrag auf Wiederzulassung" stellen. Erich Mielke bekommt von Krenz eine Kopie.
So endete der Schiedsrichter Bernd Stumpf. Ein Opfer? Wie denn, mit einer IM-Verpflichtungserklärung, die vom 8. Juni 1989 datiert. Stumpfs Tragik ähnelt der des Oberst Redl aus István Szabós gleichnamigem Film: Die Macht verstößt ihren Opportunisten.
Bernd Stumpf, der Pädagogikstudent, der Verkehrserzieher, der Berufsberater, erzählt sein Leben in knäuligen Sätzen: Ja, das sind also Umstände gewesen, die zumindest zum damaligen Zeitpunkt doch auch manchmal sehr belastend gewesen sind und von so 'ner gewissen Weise, mit den Problemen des Landes DDR umzugehen, durchaus konträre Auffassungen gehabt haben. - Entwirrt, erscheint eine Dialektik aus Ehrgeiz und Arsch an die Wand. Rock-'n'-Roll-Fan, aber stracks in die FDJ. Schockiert vom Einmarsch in Prag, aber Kandidat der SED.
Nach dem Tiananmen-Massaker endlich drauf und dran, sein Mitgliedsbuch hinzuknallen, aber die Konsequenzen gescheut. Ich hatte keine Lust, sagt Stumpf, auch in dem Sinne, wie ich eben verheiratet war, meine Familie in Gefahr zu bringen. Die Maueropfer? Leichtsinnige, selbst schuld an ihrem Geschick, wie der rausgeschmissene Jenenser Dissident Roland Jahn: Wie konnte man nur mit Hitlerbärtchen an der Maitribüne provozieren und mit Solidarnoc-Fähnlein durch Jena radeln.
"Auf dem Platz ging's mir immer gut, ohne Kloß im Hals"
Das Jenaer Bürgerrechtsjournal Gerbergasse 18 hat Stumpf als IM benannt und ein paar eifrige Petzereien dokumentiert. Stumpf erklärt, er habe nur Bekanntes aus der Fußballszene reportiert. Sachumstände, niemals privatime Schnüffeldaten. Die Stasi habe ihn überdies weniger gestört als der Dogmatismus in der Partei. Eine erste IM-Verpflichtung hatte Stupf während der Armeezeit, als er wegen unerlaubter Entfernung erpressbar war. Wieder Zivilist, mochte er nicht weiter zuarbeiten - und unterschrieb 1989 erneut.
Er habe seinen Sohn schützen wollen. Sascha Stumpf, Nachwuchsstar beim FC Carl Zeiss Jena, war Mitglied einer Autoschieberbande. Wenn Bernd Stumpf von dem Missratenen erzählt, stockt die forsche Rede, stürzen ihm die Tränen in die Augen. Scheiße, sagt Stumpf. Tiefstes Atmen.
Warum wollten Sie unbedingt Schiedsrichter werden?
Auf'm Platz ging's mir immer gut, da hatt ich keinen Kloß im Hals.
Genießt man die Macht?
Mein erster Europapokal-Einsatz war im San Siro von Mailand. 80 000 Zuschauer, und Sie laufen da rein und wissen, dass Sie bestimmen, wo's heute abend langgeht ...
Heute ist Stumpf arbeitslos. Er lebt von seiner Frau, einer Lehrerin. Seinen Job bei der Kreisverwaltung verlor er 1995, weil er seine Stasi-Mitarbeit verschwiegen hatte. Ich denke, sagt er, sich zum Trost, dass ich mit allen schwierigen Umständen doch ganz gut fertig geworden bin. Dass es da 'n paar schwarze Flecken in dieser Biografie gibt, die sind höchst bedauerlich, aber irgendwo sindse eben das, was das Land DDR auch ausgemacht hat.
Was werfen Sie sich selber vor?
Dass wir Parteigänger des Landes nicht das Rückgrat hatten, uns gegen seine Krebsschäden zu stellen.
Zum Schluss haben wir auch noch Hans Richter gefunden. Er arbeitet heute im Sicherungsbereich des Flughafens Frankfurt am Main. Herr Richter, rufen wir ins Telefon, Leipzig, 22. März 86. Erinnern Sie sich?
Erst mal gar net, sagt Hans Richter.
Herr Richter, Sie sprechen ja Hessisch! Sind Sie's überhaupt? Wo ist Ihr Sächsisch?
Ganz kriegt mer's ni weg, sagt Richter, und dann dämmert's ihm: Ging's nicht gegen den BFC? Gab es nicht Tumulte? War da nicht ein Elfmeter? Ich glaube, ich war sogar dran beteiligt. Jetzt weiß ich's wieder: Ich hab 'n Krampf in der Wade bekommen und bin dann so nach, hab mich nach vorn so, ähm, hab ihn schonn so 'n bisschen behindert halt, ja? Aber der Schulz hat sich auch absolut theatralisch fallen lassen.
Herr Richter, ist das noch Ihr Leben?
Ach, das ist eigentlich ganz weit weg. Jetzt muss ich auflegen, mein Chef guckt schon.
Die Fans des Ost-Berliner Klubs BFC Dynamo gelten als die brutalsten der Republik
Holger Stark
18.11.1999 0:00 Uhr
Der harte Kern der Schläger verdient mit Drogenhandel Millionen - bis die Polizei zuschlägtHolger Stark
Mario Wronski* war oft im Stadion und manchmal auch davor. So wie am 21. Juni 1998 im französischen Lens. Als Hooligans außerhalb des Stadions die Polizei angreifen und für weltweite Schlagzeilen sorgen. Wronski ist eigens zur Fußball-WM geflogen, wie es sich für einen Chef-Hooligan gehört. Im Flieger sitzt auch sein Kumpel Christopher Rauch. In Lens trennen sich die beiden. Rauch gehört zu einer Gruppe von etwa 50 Hooligans, die in einer Seitenstraße dem französischen Polizisten Daniel Nivel mit einem Verkehrsschild den Schädel einschlagen. Nivel wird Zeit seines Lebens ein Krüppel bleiben; die Richter verurteilen Rauch dafür Anfang November 1999 zu dreieinhalb Jahren Haft. An dem besagten Nachmittag in Lens hat Wronski nicht mitgeboxt. Ansonsten kennt er sich natürlich schon aus damit, wie man einen umhaut.
Wronski ist etwa 1,85 Meter groß und kommt auf knapp 100 Kilogramm wohl trainierter Muskeln. Seine Haut ist braun gebrannt, von Reisen nach Südamerika und von Besuchen in Berliner Sonnenstudios. Das mit der Bräunung wird für die nächsten fünf bis zehn Jahre allerdings ein Problem. Im Knast scheint einfach zu selten die Sonne.
Wronski, 36, wegen seiner Haare auch "der Zopf" genannt, und Rauch, 25, gehören zu den Hooligans der so genannten Kategorie C: als gewaltbereit registriert in den einschlägigen Karteien der Polizei. Beide sind überzeugte Fans des ehemaligen Mielke-Klubs BFC Dynamo aus Ost-Berlin. Ihre Aktivität im Umfeld der Stadien ist mittlerweile allerdings nur noch ein Hobby. Im richtigen Leben, glauben die Ermittler, sind die Herren Hooligans Berufskriminelle. Die Fahnder halten Wronski und Rauch für die Drahtzieher eines internationalen Hooligan-Kartells mit Verbindungen bis nach Südamerika. Der harte Kern der Hooligans aus dem Umfeld des BFC Dynamo, nach Polizeiangaben rund 200 Personen mit Kampfsporterfahrung, kontrolliert inzwischen fast vollständig die Ost-Berliner Türsteher-Szene und nutzt die Discos als Absatzmarkt. Kokain für die Yuppies und Ecstasy für die Raver. Ein Millionengeschäft.
Am Dienstag dieser Woche rollen Polizeiexperten für Organisierte Kriminalität das Drogen-Kartell endgültig auf. In den Morgenstunden nehmen Spezialisten im Großraum Berlin vier Männer und eine Frau aus der Hool-Szene hoch - die Gruppe, die zu Wronski gehört, ist seit längerem im Visier der Polizei. Bereits in der Nacht des 2. Oktober 1998 hatten die Beamten ein Dutzend Personen festgenommen, darunter Mario Wronski, der seitdem als mutmaßlicher Chef einer kriminellen Vereinigung in Haft sitzt. Während der Razzien realisierten die Polizisten, wie weit die Geschäfte der Hools gediehen waren: Bei Mario Wronski fand ein Sondereinsatzkommando eine Maschinenpistole mit Schalldämpfer, eine Pump-Gun und zwei Pistolen. Auf Konten, Aktiendepots und in Immobilien hatte das Hooligan-Kartell knapp fünf Millionen Mark angelegt. Erwirtschaftet aus Drogenhandel sowie Versicherungs- und Kreditbetrug.
Natürlich sind nicht alle Fans von Dynamo Hooligans, und nicht alle Hooligans sind Drogendealer. Doch gilt es als Tatsache, dass diejenigen der BFC-Fans, die sich als Hools bezeichnen, zu den härtesten in Deutschland zählen, vor denen Gegner wie Polizei gleichermaßen Respekt haben.
Mythos BFC: Sportlich ist Dynamo auf dem Weg in die vierte Liga - die Fans aber sind erstklassig. Und ein nicht unerheblicher Teil ist mittlerweile in Geschäftsfeldern aktiv, die nur noch wenig mit Fußball zu tun haben. Kurz nach dem Mauerfall erkannten die Ost-Berliner die einmalige Chance: Die DDR war ein fast rechtsfreier Raum. Plötzlich war alles möglich. Die letzten Jahre in der DDR hatten die Szene hart gemacht im Einstecken und noch härter im Austeilen. Es gab Donnerstage, da legten die Hooligans über Nacht ihre Hände in Obstessig ein. Am nächsten Morgen war die Haut weich wie ein feuchter Lappen. Die Hools zogen sie ab bis auf das rohe Fleisch, um am Freitag nicht malochen zu müssen. Statt dessen fuhren sie mit ihrem BFC zum Auswärtsspiel, die dritte Halbzeit inklusive. Mit der Staatsmacht hatten die meisten bereits ausgiebige Erfahrungen. Einige, weil die Stasi sie vorübergehend wegsperrte, um die renitenten Fußballfans einzuschüchtern. Andere, weil sie lieber ihre Kameraden denunzierten. Und alle, weil der BFC als Stasi-Klub galt, der von allen anderen Klubs gehasst wurde.
Mit der Wende expandiert eine Szene, deren Energie nur durch die Mauer in Grenzen gehalten wurde. Die Hools des BFC Dynamo erwerben sich schnell bundesweit Respekt. Im November 1989 überfallen 500 Berliner in Jena im Anschluss an ein Oberligaspiel eine Tankstelle, plündern Geschäfte und schlagen die Volkspolizei in die Flucht. Am 3. November 1990, beim Spiel gegen Sachsen Leipzig, kommt es zu schweren Krawallen. Die überforderten Ost-Polizisten ziehen die Waffe und schießen auf den Berliner Mob. Der 18-jährige Mike Polley bleibt tödlich getroffen liegen. Eine Woche später nehmen tausend Berliner an einem Trauermarsch teil. Auf dem Fronttransparent steht: "Wir trauern um Mike - Hooligans".
Das schweißt zusammen. Die meisten Hools sind um die 30 Jahre alt und kennen sich aus der DDR-Zeit. Wie Wronski, der kurz vor der Wende in den Westen rübermachte und nun zurück ist in Ost-Berlin. Anfang der 90er Jahre drängen die kampferfahrenen Fußballfans des BFC in die Türsteher-Szene. Bis heute sind unter den 200 wichtigsten Personen der Szene nur eine Hand voll echter Westler. Die Ost-Berliner haben das Sagen - und ihr Hoheitsgebiet ist groß.
Das Ziel heißt Südamerika
Mario Wronski macht für kurze Zeit eigenhändig den Rausschmeißer. Dann gründet er sein eigenes Unternehmen und lässt arbeiten. In der Bar "Venus" im Berliner Bezirk Hohenschönhausen sind seine Jungs aktiv, im "P2" in Schwedt, in Discos in Neuruppin und in Marwitz. Eine zweite, befreundete Gruppe, "die Rahnsdorfer", dominiert die örtliche Disco in Rahnsdorf. Bald ist auch Berlin genommen. Ein Ermittler sagt: "Die haben ein einfaches Erfolgsrezept. Die kommen mit sechs, sieben Leuten mit scharfen Waffen, die sie im Zweifel auch benutzen. Da kapituliert in Berlin und Brandenburg fast jede andere Gruppe." Heute gilt die Hauptstadt als weitgehend zweigeteilt: Im Westteil dominieren Türken und Araber die Türsteher-Szene. In fast allen Discotheken im Osten herrschen dagegen die Hooligans.
Eine Regel der Unterwelt lautet: Wer die Tür kontrolliert, kontrolliert auch den Drogenhandel. Denn ohne Einwilligung der Security ist es fast unmöglich, in einem Nachtklub zu dealen. Es ist der nächste, logische Schritt, nach den Discos auch den Drogenhandel zu übernehmen.
Das Ziel heißt Südamerika. Da, wo die Drogen herkommen. 1995 muss Rocco Schubert* abtauchen, einer aus dem Umfeld des BFC, gegen den acht verschiedene Ermittlungsverfahren laufen. Schubert, der zu den "Rahnsdorfern" gehört, flüchtet nach Venezuela und wird dort Statthalter des Hooligan-Kartells. Der Zwei-Meter-Hüne ist einschlägig wegen Körperverletzung bekannt. Markant sind die heruntergezogenen Mundwinkel, die ihm einen Ausdruck von Frustration und Skrupellosigkeit verleihen. Sein Job in Venezuela: Drogenkuriere mit Stoff und präparierten Gepäckstücken zu versehen. Darin oder direkt am Körper werden die Lieferungen nach Deutschland gebracht: Koks, so strahlend wie die weinrot-weißen Trikots des BFC. Geliefert von venezolanischen Drogenkartellen. Gedacht für Ost-Berliner und Brandenburger Discos, in denen Hooligans Türsteher sind.
Die Gruppe ist hervorragend organisiert. Über Kuriere wird der Stoff per Ferienflieger über Düsseldorf oder Amsterdam eingeschleust, teilweise auch über Schiffscontainer via Bremen. Von den Berliner Drahtziehern wohnt so gut wie keiner unter seiner Meldeadresse. Wronski unterhält bis zu sechs tote Briefkästen, die Kontaktleute gegen Honorar leeren. Der "Zopf" benutzt vier Handys mit bis zu 13 Karten in sämtlichen Netzen, allesamt über Strohmänner angemeldet. Standesgemäß fährt Wronski einen Mercedes S-Klasse, einen BMW und einen Ersatz-Daimler. Ab und zu besuchen Mario Wronski und die Berliner Rocco Schubert in Venezuela. Dann werden am Pool und in den Discos von Caracas heiße Partys gefeiert, die regelmäßig in Schlägereien enden: Die Berliner, allesamt Kampfsportler kräftigerer Statur, haben Spaß daran, die kleineren Venezolaner zu provozieren.
Bald wirft die Venezuela-Connection gutes Geld ab. In Caracas kostet ein Kilo Kokain zwischen 6000 und 7000 Dollar. Auf den Tanzparketts der Hauptstadt liegt der Straßenverkaufswert bei bis zu 200 000 Mark. Das Geld soll über Frank Wronski* gewaschen werden, den jüngeren Bruder von Mario. Der kleine Wronski leitet in einer sächsischen Provinzstadt die örtliche Filiale der Dresdner Bank. In seinem Lions-Club ist er eines der jüngsten Mitglieder. Er gilt als aufstrebender junger Mann mit ordentlich gescheitelten Haaren und hat die Lizenz zum Zeichnen von Millionen-Krediten. Unter falschen Namen eröffnet die Gruppe verschiedene Konten. Sie reicht Grundbuchauszüge, notarielle Beurkundungen und Fotos von Häusern als Referenzen ein. Dafür kassiert sie mehrere Millionen Mark an Krediten. Weder die Personalien noch die Grundstücke noch die Häuser existieren. Die Polizei wird den Bänker am Rande einer Fachtagung über Anlagestrategien festnehmen.
Als im November 1996 ein Kokain-Kurier auf Kuba auffliegt und plaudert, kommt das Berliner Landeskriminalamt auf die Ost-Berliner Spur. Die Hooligans merken schnell, dass etwas nicht stimmt. In seinem Sportstudio lernt Mario Wronski einen jungen Polizisten kennen: Jens L., der in der Direktion 7 in der Fahndung arbeitet. L. ist Berliner Kickboxmeister seiner Gewichtsklasse. Der Kampfsport verbindet. Über eineinhalb Jahre lang wird L. die Venezuela-Connection über Ermittlungen der Polizei informieren, die er konspirativ über den Polizeicomputer abruft. Jens L. besucht schon mal zusammen mit Wronski Bordelle im Ostblock. In Berlin fährt er ein teures Audi Cabrio. Als das Drogen-Netz hochgeht, fliegt auch Jens L. auf.
Fast zwanzig Leute hat die Berliner Polizei mittlerweile festgenommen; die Verhaftungen am Dienstag dieser Woche waren die vorläufig letzten. Die meisten sitzen in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess. Noch, sagen die Ermittler, ist die Operation nicht zu Ende.
Zu einer der Festnahmen wurde auch ein vermummtes, schwer bewaffnetes Sondereinsatzkommando geschickt. Die SEK-Männer, nicht gerade für Höflichkeit berühmt, überwältigten den Verdächtigen schockartig beim Verlassen eines Geschäfts.